Standort  Jubiläumsplatz

Bevor auf dem heutigen Jubiläumsplatz für die 1000-Jahr-Feier im Jahr 1904 ein eleganter Park angelegt wurde, existierte dort die s.g. Stadtbleiche. Auf den dortigen Wiesen legten die Frauen ihre Wäsche zum Trocknen aus, nachdem sie im nahegelegenen Mühlenteich gewaschen wurden.

Standort Jubiläumsplatz


In Unterhosen zur Wehrübung

Bauer Johann und seine Frau Herta putzten sich mächtig heraus, denn sie machten beim großen Jubiläums-Festzug 1904 mit. Und nicht nur das, sie waren Teil der „bewegenden Bilder“. Mit von der Partie waren ihre drei Kinder.

 

Das Hemdchen von Maximilian ist noch nicht gestärkt, das Kleidchen von Clara sitzt noch nicht richtig, und die Hose von Emil rutscht!“, rief die rundliche Herta aufgeregt ihrem Mann zu. „Jetzt mach‘ doch nicht wieder so ein Gedöns“, murmelte der gedehnt zurück. „Wir feiern 1000-jähriges Jubiläum, und ich soll mich nicht aufregen dürfen?“, erwiderte sie mit hochrotem Kopf, während ihre dunklen Locken lustig unter der weißen Haube hervor tänzeln. Doch schon bald trollten sich die drei Kinder vergnügt zur Szene „Postkutschenwechsel“.

 

Die Wegesränder am Park wurden von zahlreichen Besuchern bevölkert, und ein stetes Plappern raunte durch die Menge. In der Festzeitschrift konnten sie die Historie nachlesen: „Die erste urkundliche Erwähnung im Jahre 904 gelang über eine Schenkung von zwei Königshufen (60 Morgen) durch den letzten Karolingerkönig Ludwig IV., das Kind, an das Kloster Kaiserswerth, um später selbst Seelenheil zu erfahren.

 

Die prallvolle, buttrige Sonne schien auf die neu gestaltete Parkanlage mit Wiesenflächen, prächtigen Blumenbeeten und Springbrunnen. Er wurde umsäumt von frischen, jungen Bäumen. Ein sommerlicher Duft schwebte über den glanzvollen Ort.  

 

Herta zupfte an ihrem wallenden Rock und zog behutsam ihr Häubchen zurecht. Gemeinsam mit ihrem Mann schritt sie zu einer kleinen Bühne.

 

Johann schlüpfte in die Figur des herzoglichen Boten, Adolph VII. von Jülich-Berg, mit der Freiheitsurkunde aus dem Jahre 1424 in der Hand. Das machte ihn mächtig stolz. Von seiner feschen, beeindruckenden Mütze konnte er sich nach seinem Auftritt gar nicht trennen und versteckte sie in seiner Truhe, die seine Eltern bei der Verleihung der Stadtrechte 1856 durch Friedrich Wilhelm IV. von Preußen erworben hatten.

 

Es bildete sich ein großer Besucherkreis um Bürgermeister Conradi, als dieser rief: „Und zum heutigen Festtage … taufen wir diese Anlage auf den Namen ‚Jubiläumsplatz’ und enthüllen das dazugehörige Denkmal!“ Geheimnisvoll zog Conradi am Tuch. Sichtbar wurde ein gewaltig großer Steinbrocken, der später von neidischen Ortsnachbarn den Spitznamen „Stiewe Köttel“ erhielt. Das Publikum jedenfalls applaudierte begeistert.  

 

Übrigens – bei späteren Umbaumaßnahmen ging dieses Denkmal verloren. Gewiss winkt bis heute noch eine Belohnung, falls es aufgefunden wird.  

 

Nach dem gelungenen Festzug fanden sich Herta und Johann in der Nähe des Festzeltes wieder. „Weißt du noch, was Mutter von den früheren Zeiten erzählte?“, sinnierte Herta und versank in den Fluss ihrer Gedanken. Sie erinnerte sich, wie sie manchmal als kleines Kind ihre Mutter begleiten durfte und den Gesprächen der Mägde lauschte, als es hier noch den Teich gab, der später immer stärker verschlammte und gemuttet werden musste:

 

Meine Güte, heute haben die Herrschaften aber besonders viel Wäsche!“, plauderte die hakennasige Magd Agathe mit ihrer Weggefährtin, Brunhilde. Die vollen Wäschekörbe in die Hüften gestemmt, liefen sie laut klappernd mit ihren Blotschen über die Kopfsteinpflaster bis hin zum Mühlenteich. Sie sahen Pferde, die zu den Tränken am Ötzbach, Mettmanner Bach oder Hammerbach geführt wurden. Später watschten und rubbelten beide auf ihren Waschbrettern, was die Wäsche aushielt. Zum Glück schien an diesem Tag die Sonne. Agathe und Brunhilde legten die weiße, nasse Wäsche auf die Wiesen zum Bleichen.

 

Nun blieb ihnen Zeit zum Tratschen.

 

Ja – hast du schon gehört, was dem Bäcker bei der freiwilligen Feuerwehr passiert ist? Letzten Donnerstag kreischte wieder das Signal vom Turm, um die Wehrübung anzukündigen. Und stell dir vor: Da flitzte der Bäcker los, nur mit langen Unterhosen bekleidet! Danach ist er mit seinem Freund, dem Schmied, im Keller verschwunden und hat wahrscheinlich wieder Schnaps gebrannt. Der zweite Löschzug... vielleicht tauschen sie noch einmal gegen Kartoffeln …

 

Dabei vergaßen die Mägde oft in ihren Gesprächen die Zeit und merkten nicht, wie gnadenlos die Sonne Löcher ins Gewebe sengen wollte.

 

Schlagartig wurde Herta von den stürmisch herannahenden Kindern in ihren Erinnerungswolken unterbrochen.

 

Stell dir vor Mutti, das weiße Pferd hat die ganze Schüssel Malzbier ausgetrunken und dann gerülpst!“, kicherte die sommersprossige Clara. „Na ja, das war ja auch ein edles Getränk für den Gaul“, entgegnete die Mutter und schaute alle ihre Kinder liebevoll der Reihe nach an.  

 

Die Familie blickte zurück auf den Park und machte sich beschwingt auf den Heimweg. Was sie zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht ahnten, dass später die Fachwerkhäuser weichen mussten, um den Platz zigfach neu zu gestalten. Und die Enkelkinder kamen in den Genuss, „Oma Melles“ in ihrem Kiosk kennen zu lernen, um sich ein Tütchen Brause zu kaufen.

Autor: Dagmar Grotendorst


Bild:

Gedenkstein zur 1000-Jahr-Feier, 

despektierlich „Stiewer Köttel“ 

genannt.

Gedenkstein zur 1000-Jahr-Feier,  despektierlich „Stiewer Köttel“  genannt.